«Wenn ich das nur früher gewusst hätte!»

40 Jahre Lebenserfahrung hatte ich bereits gesammelt, als ich erstmals Vater wurde. Über Männerarbeit und Männlichkeitsforschung wusste ich – von Berufes wegen – Bescheid. Und natürlich habe ich Remo Largos «Babyjahre» und verschiedene weitere Väterbücher gelesen. In der Theorie war ich also bestens vorbereitet auf das Abenteuer Vaterschaft. Aber dummerweise hatte ich in der Praxis etwas ganz Entscheidendes nicht berücksichtigt: das Eigenleben der kleinen Erdenbürgerin, die meine Frau vor zehn Jahren gebar.

Im Nachhinein muss ich über mich selbst lachen. Aber damals war es mir tatsächlich nicht bewusst, wie unrealistisch ich mir in meinen Tagträumereien das Leben mit Baby vorgestellt hatte. Denn dieses Baby war in meinen Gedanken vor allem eins: passive Empfängerin meiner väterlichen Zuwendung. Doch das neugeborene Kind erwies sich keineswegs als das duldsam-empfängliche Geschöpf meiner Vorstellungen. Hilflos ist es, das schon. Aber trotzdem ganz schön aktiv. Es produziert Laute, fuchtelt mit Händen und Beinen, macht Grimassen, schaut umher, greift zu, weint und schreit…

So wusste ich zwar viel, unterschätzte aber eins: Dass nicht ich, sondern das Baby den Takt vorgab – und ich stets mit einem halben Schritt Verzögerung auf die Tatsachen reagieren musste, welche dieser kleine Mensch mit seinem unverblümten In-der-Welt-sein geschaffen hatte.

Das erwies sich als wertvolle, aber harte Lektion. Denn was ich lernen musste: Vaterschaft ist kein Status, sondern ein Prozess. Seine Essenz ist das Bezogensein. Weil ich als Vater grösser, älter und stärker bin, kommt mir dabei zwar die Position des «Überlegenen» zu. Das ist aber bloss eine Frage der Rolle, nicht der Hierarchie. Denn echtes Bezogensein kennt kein oben und kein unten. Es kennt nur den Moment der Begegnung. Und Begegnung ist ein Tanz Ebenbürtiger, in dem sich nie genau sagen lässt, wer nun Lehrer und wer Schüler ist…