Sexualität nach der Geburt: Teil 2

Schlaflosigkeit bestimmt die Nächte, die Nerven liegen oft blank. Zur chronischen Erschöpfung gesellt sich sexuelle Lustlosigkeit einerseits bzw. Frust darüber andererseits als ständige Begleiterscheinung dazu. Es ist kaum Zeit für Zweisamkeit und wenn sich doch mal ein Fenster auftut, ist man zu müde oder es überwiegt das Bedürfnis, einfach mal ein bisschen für sich zu sein. Raum für Gespräche, die über das Tägliche hinausgehen, kommen selten bis gar nicht mehr zustande. Sexlosigkeit nach der Geburt belastet oftmals die Liebesbeziehung. Wie holt man sich als Paar den Sex zurück?

Laut Christoph Joseph Ahlers, Sexualwissenschaftler, Paar- und Sexualtherapeut, erodiert die sexuelle Beziehung in Partnerschaften dadurch, dass Beziehungen nicht bewusst geführt werden. Leider bergen die Herausforderungen des Familienalltags genau dieses Risiko.

Redet miteinander übereinander

Bevor Ihr euch vornehmt über Sex zu reden, redet erstmal wieder über euch. Aber was ist damit genau gemeint? Viele Paare denken, gute Kommunikation laufe ungefähr so ab:“ Hallo (Schatz)! Wie war dein Tag? Aha….hmm…oh!“. Man hört aufmerksam zu, kommentiert, gibt sein Verständnis zum Besten und dann erzählt man seinerseits von seinem Tag. Vielleicht hat man noch eine kleine Auseinandersetzung wie was wer warum gemacht hat und was besser gewesen wäre. Da reden zwar zwei, aber es geht um das Aussen. Es geht um die Geschehnisse und Erlebnisse des Tages, gegebenenfalls um Erziehungsfragen, die Kinder, die Pläne für den Abend oder nächste Woche oder die kommenden ersehnten Ferien.

Ein derartiger Austausch kann wichtig sein, keine Frage. Er bringt Paare aber nicht unbedingt näher. In Kontakt treten würde laut Ahlers bedeuten, miteinander übereinander zu sprechen. Mögliche Fragen wären beispielsweise: Wie geht es dir mit mir? Was denkst du über uns? Wen siehst du gerade in mir? Wo fühlst du dich missachtet? Was löst das bei dir aus? Was sind wir aktuell füreinander? Das wären Fragen, die Intimität herstellen, die dann auch in körperlicher und/oder sexueller Hinsicht wider entstehen kann, so Ahlers. Es sind keine einfachen Fragen, denn sie tangieren Gefühle von Verletzlichkeit, Angst und Unsicherheit. Sie bergen aber auch enormes Potenzial, indem sie von der Sehnsucht erzählen gewollt und gemocht zu sein, sich geborgen zu fühlen und so angenommen und wahrgenommen zu werden, wie man ist. Wenn einem Paar gelingt, über diese Themen in Kontakt miteinander zu kommen, ist viel erreicht. Wichtig: Bleibt bei euch, euren eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und Wünschen und hört aufmerksam zu, wenn euer Gegenüber sich euch öffnet und offenbart. Versucht euch zurückzunehmen, wenn ihr in reaktive und vorwurfsvolle Äusserungen verfällt, sie vergiften die Intimität und Nähe, die potenziell aus so einem Gespräch entstehen kann. 

Und nun zur Frage, wie ein Paar über Sexualität (wieder) ins Gespräch kommen kann

Lasst euch inspirieren

Wenn es erstmal am Punkt angekommen ist, in einer Weise miteinander übereinander zu reden, die sich für beide sicher und wohlwollend anfühlt, ist es gar nicht mehr so schwer, sich auch über die gemeinsame Sexualität auszutauschen. Zum Anfangen könnten ähnliche Fragen wie oben vorgeschlagen formuliert werden: wie geht es dir in sexueller Hinsicht mit mir? Was denkst du über unsere Sexualität? Wen siehst du sexuell gerade in mir? Wo fühlst du dich sexuell/körperlich missachtet? Was löst das bei dir aus? Was wünschst du dir auf einer körperlich-intimen (oder sexuellen) Ebene von mir? Was nicht? So ähnlich.

Vielen Menschen fällt es schwer über ihre Sexualität zu sprechen, vielleicht oder sogar gerade mit der Person, mit der man eine (sexuelle) Beziehung führt. Manchmal fängt es schon mit dem Unbehagen an, eine für sich und die Beziehung stimmige Sprache zu finden, um über die Geschlechtsorgane und (gemeinsame) sexuelle Aktivitäten zu sprechen. Das gleiche gilt für die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Vorlieben. Sprecht über dieses Unbehagen miteinander! Sagt, was euch schwer fällt und warum. Auch dies gelingt besser, wenn man das Gefühl erlangt hat vom anderen so angenommen zu sein, wie man ist.

Paare, welche in eine (sexuelle) Sprachlosigkeit gekommen sind aus der sie schwer wieder alleine rausfinden, können sich Hilfe holen in Form einer (Paar- oder) Sexualtherapie. Oder sie besorgen sich Unterstützung in Form von Büchern oder Kartensets, mit deren Hilfe sie sich über die eigenen (sexuellen) Befindlichkeiten austauschen können. Bücher und Input-Karten können übrigens auch hilfreich sein für Paare, welche generell Mühe haben aus sich heraus über (ihre) emotionale Befindlichkeit und/oder Sexualität zu sprechen und keine therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen möchten.

Last but not least: Veränderungen wie die Geburt eines Kindes bergen auch ein hohes sexuelles Potenzial, wenn ein Paar bereit ist sich dem zu öffnen. Erlaubt euch Entwicklung und gebt euch Zeit.

Im nächsten Beitrag geben wir konkreter Inputs zu möglichen sexuelle Entwicklungen in langjährigen Beziehungen.

Zur Vertiefung:

Für englischsprechende App-Liebhaber:innen:

Gottman Card Decks App (gratis im App Store, mit Kommunikationskarten zu verschiedensten Themen, auch Beziehung und Sexualität)

Für Geniesser:innen von „Wissen-Kompakt“ haben wir passend zum Thema ein paar ausgewählte Links:

https://www.zeit.de/online/2009/22/sex-als-eltern

https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2018-03/sexleben-beziehung-zusammenleben-lust-schlafzimmerblick

https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2018-08/schwangerschaft-schoenheitsideal-koerper-bindegewebe-veraenderung

Oder hier (viele Inhalte passen zum Thema, stöbert rum, hört rein und tauscht euch aus!):

https://www.blick.ch/life/liebe/beratung/fux-ueber-sex-es-ist-ein-teufelskreis-aus-distanz-id16507176.html

Für Ohrwürmer:

https://www.zeit.de/serie/ist-das-normal

(auch hier passen viele Inhalte zum Thema, stöbert rum, hört rein und tauscht euch aus!)

Für Spielfreudige:

Talk About – Das Kommunikationsspiel für Paare. EFM Edition Michael Fischer.

nackt. Fragen für mutige Gespräche über Sex und Initmität. Beherzt Verlag.

 

Von Annina Oliveri, Sexologin und Anthropologin, lebt und arbeitet in Basel.

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