Erfahrungen und Vatertipps vom Gynäkologen

Dr. med. Michael Winter, Leitender Arzt der Frauenklinik des Spitals Zollikerberg und selber Vater, gibt ganz persönlichen Einblicke zum Thema «Väter im geburtshilflichen Kontext».

Foto: zVg Spital Zollikerberg

Sie ist schwanger – ich werde Vater! Herr Dr. med. Michael Winter, was waren die ersten Gedanken?

Winter: Die ersten Gedanken waren sicherlich überwältigend und mit ganz viel Glück verbunden. Die Zeit für meine Frau und für mich war ideal, es war ein Wunschkind. Wir beide hatten bereits vor langer Zeit unsere Ausbildungen abgeschlossen und standen schon seit Jahren im Berufsleben. Es war das I-Tüpfelchen auf unserer Liebe, und wir konnten mit dem Nestbau beginnen. Mit Gottvertrauen wussten wir, dass alles gut kommen würde und wir uns auf eine schöne Zeit, insbesondere die Schwangerschaft, freuen konnten. Aber natürlich auch im Wissen um die verschiedensten Einflüsse, die auf eine Schwangerschaft einwirken können, nahmen wir die regelmässigen Schwangerschaftskontrollen wahr. So hatten wir eigentlich nie das Gefühl, dass etwas nicht gut sein könnte.

Wie haben Sie das empfunden: was kommt auf einen Vater in der Zeit vor der Geburt zu, und mit welchen Höhen und Tiefen wird er konfrontiert?

Winter: Werdende Väter müssen sich sicherlich darauf einstellen, dass die Schwangerschaft eine Zeit der emotionalen Empfindsamkeit ist. Höhen und Tiefen werden überschwänglicher erlebt und es ist manchmal für den Partner nicht einfach, diese entsprechend einzuordnen. Auch wenn gelegentlich unklare oder abklärungsbedürftige Befunde in der Schwangerschaft auftreten, ist es wichtig, als Vater bei den Untersuchungen dabei zu sein und die schönen Momente miteinander zu teilen, aber auch bei Besonderheiten füreinander da zu sein. Worüber ich immer wieder nachdenken muss, ist, dass die ganze Schwangerschaftsvorsorge und die Untersuchungen sich auf die Entwicklung des Kindes und die Begleitung der Schwangerschaft konzentrieren. Es gibt Geburtsvorbereitungskurse, die einen auf die Geburt vorbereiten können, aber es gibt keinen, der einen auf die Situation des Elternseins und das Leben einer Familie mit allen Höhen und Tiefen vorbereitet. Aber das macht die Sache vielleicht so extrem spannend und bereichernd.

Die Wehen sind da. Es geht los. Haben Sie die Geburt als Vater anders wahrgenommen als in Ihrer Rolle als Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe?

Winter: Wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann, ist dann doch wieder jede Geburt ein besonderes Erlebnis mit seinen ganz individuellen Besonderheiten. Bei der Geburt meiner Tochter vier Jahre später war der Start zur Geburt in Terminnähe wesentlich entspannter, und ich konnte meine Frau noch besser unterstützen als bei der ersten Geburt. Dennoch waren die Geburten meiner eigenen Kinder unvergessliche, wunderbare Erlebnisse, wo ich Gott sei Dank meine Profession als Arzt vergessen und mich allein auf das Vaterwerden und -sein einlassen konnte.

Die Rolle des Vaters innerhalb der Familie unterliegt einem stetigen Wandel. Je länger je mehr möchten sich viele Väter intensiv in die Kindererziehung einbringen und die Aufgabenteilung fördern. Wie erleben Männer den Übergang zur Vaterschaft, und worin können Sie ihre schwangere Partnerin unterstützen?

Winter: Ich glaube, die Rolle des Vaters innerhalb der Familie unterliegt keinem Wandel. Ich glaube, die Natur hat eine gewisse Rollenverteilung vorgesehen (Männer können ja nicht schwanger werden). Aber die gegenseitige Unterstützung und die Aufgabenverteilung sollten wirklich individuell den eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen angepasst werden. Natürlich sollen sich die Väter so gut wie irgendwie möglich zur Unterstützung ihrer Partnerinnen in der Schwangerschaft und vor allem nach der Geburt einbringen und die anfallenden Aufgaben so gut wie möglich zwischen Vater und Mutter aufteilen. Aber auch da finde ich, sollte man sich von einer gewissen Rollenverteilung verabschieden: Jeder wird und kann sich nach seinen Stärken und Schwächen einbringen, und das Beste ist immer, sich gegenseitig zu ergänzen und zu unterstützen, egal, welches aktuelle Rollenbild die Gesellschaft vorzeichnet. Immer wieder habe ich das «Werdender-Vater-Klischee» vom «Jäger zum Ernährer» gehört und darüber schmunzeln müssen. Aber ein wenig Wahrheit, finde ich, steck dann doch drin. Als werdender Vater macht man sich natürlich Gedanken, wie man seine schwangere Frau unterstützen, sie entlasten und wie die gemeinsame Zukunft gesichert werden kann. Die beste Unterstützung liegt wahrscheinlich darin, zusammen mit seiner Partnerin jeden Tag der Schwangerschaft bewusst wahrzunehmen, sich Auszeiten zum intensiven Austausch von Gedanken und Gefühlen zu nehmen und eine Atmosphäre von liebevoller Geborgenheit zu schaffen.Vielleicht ist es etwas anspruchsvoller, diese Liebe auch anzunehmen. Dafür kannst du aber auch als Persönlichkeit mehr daran wachsen.

«Hallo, wie geht es deiner Frau?» – Wahrscheinlich eine der häufigsten Fragen, die werdenden Vätern gegen Ende der Schwangerschaft fast täglich gestellt werden. Warum stehen die Väter eher im Hintergrund und wie fühlt man sich dabei?

Winter: Da wären wir wieder bei der Rollenverteilung: Die Frau und das Kind sind selbstverständlich die wichtigsten Personen in der Schwangerschaft. Darum ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die ganze Schwangerenvorsorge um die werdende Mutter und das Kind dreht. Da ist es aus meiner Sicht auch nicht schlimm, dass wir werdenden Väter etwas in den Hintergrund treten und das Hauptaugenmerk auf der Frau liegt. Dennoch wird jeder Vater emotional in dieser Zeit mitbeteiligt sein: Man(n) fühlt mit, freut sich mit, entdeckt mit, wundert sich mit, leidet mit, begleitet mit. Aber man erlebt natürlich nicht die körperlichen Veränderungen.

Gemäss einer Studie der Universitätsmedizin Mainz fühlen sich 23%​ der Männer hilflos während der Geburt, 14,8%​ von der Situation überwältigt und 36,5%​ haben Angst. Wie haben Sie sich als werdender Vater gefühlt, und wie schätzen Sie diese Situation als Arzt ein?

Winter: Unser Sohn hielt bei der ersten Geburt eine Überraschung für uns bereit: Er machte sich bereits in der 35. Woche mit einem vorzeitigen Blasensprung und einer Beckenendlage bemerkbar. An diese frühen Morgenstunden im Hochsommer kann ich mich noch genau erinnern, von einem Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe weit und breit keine Spur … Plötzlich aus dem Schlaf gerissen, schilderte mir meine Frau die aktuelle Situation, und ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, flitzte ich wie ein Luftballon, dem man die Luft entweichen lässt, zunächst gedankenlos in der Wohnung umher. Das war natürlich eine spezielle Situation. Aber ich glaube, so fühlen sich viele werdende Väter, wenn es mit der Geburt losgeht. Es ist ein Moment – so erwartet, aber dennoch unerwartet –, der einen zutiefst überwältigt, auch wenn man die Wehen nicht selber spürt. So nach und nach aber kann man die Situation besser einschätzen und wieder einen klaren Gedanken fassen und hoffentlich auch nützlich und unterstützend während der Geburt dabei sein.

Kann sich ein Vater auf eine Geburt vorbereiten und falls ja, wie?

Winter: Es gibt Unmengen an Literatur, Geburtsvorbereitungskursen und gut gemeinten Ratschlägen von allen Seiten. Das kann einem werdenden Vater in der Theorie zwar die Situation der Geburt veranschaulichen. Doch das reale emotionale Erleben ist damit wohl kaum abzuschätzen. Wenn man schon einmal bei einer ersten Geburt dabei war, dann gelingt es vielleicht, sich entsprechend besser auf eine zweite Geburt vorzubereiten.

Wo liegen die Grenzen: Was darf von einem Vater nicht erwartet werden?

Winter: Die Frage ist gar nicht so einfach, denn den werdenden Vätern darf man alles zutrauen. In den vielen Jahren als Geburtshelfer durfte ich im Gebärsaal schon alle Facetten der werdenden Väter erleben, da überrascht mich nichts mehr.

Studien zeigen zunehmend, dass auch Väter ein erhöhtes Risiko für postpartale Depressionen (PPD) und Angststörungen nach der Geburt haben. Wie haben Sie die Zeit danach erlebt?

Winter: Mit der Geburt eines Kindes (insbesondere des ersten) verändert sich eine Partnerschaft doch einschneidend. Die Zweierbeziehung wird neu definiert, und so hat jeder seine eigenen Bedürfnisse. Das Neugeborene hat und braucht den engen Bezug zur Mutter, aber natürlich auch zum Vater. Es entsteht eine neue Dynamik in einer Dreierbeziehung. Themen wie Liebe, Geborgenheit, Sex, Beziehung, Erziehung, Zusammenleben und vieles, vieles mehr müssen neu überdacht und gemeinsam entdeckt werden. Das bringt viel Freude, kann aber auch eine Herausforderung darstellen.

Zum Schluss. Welche Tipps geben Sie werdenden und frisch gebackenen Vätern mit auf den Weg?

Winter: Sich gegenseitig zu unterstützen und sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Die schönen Momente geniessen und die Herausforderungen zusammen als Paar lösen. Ich glaube, dann kann man seine Vaterrolle finden und geniessen.

Erstveröffentlichung dieses Artikels im März 2023 auf der Website des Spitals Zollikerberg

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